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Sonntag, 2. Mai 2021

055 Und es genügt in den Zeiten der Corona-Pandemie noch nicht… (Ein Plädoyer)

 

Und es genügt in den Zeiten der Corona-Pandemie noch nicht, dass wir Angst haben vor einer möglichen Ansteckung oder dass wir angesteckt worden sind und uns nach hoffentlich gutem Überstehen mit den Spätfolgen herumschlagen müssen, dass wir um unsere materielle Existenz fürchten, weil unser Café oder unser Ladengeschäft aufgrund des Lockdowns über lange Zeit geschlossen ist, dass wir komische Masken tragen und uns die Luft ausgeht, dass wir in unmöglichen und mitunter unerträglichen Arbeitssituationen bestehen müssen, ob in der Pflege, im Home-Office oder im Home-Schooling, dass wir als Kinder plötzlich kleine Erwachsene sein sollen, dass uns als Jugendlichen wichtige Entdeckungsmomente und die Notwendigkeit unvernünftiger Ausuferung genommen werden, dass wir als Eltern die komplette Familie zu stemmen haben, deren Mitglieder die ganze Zeit zu Hause sind und uns unter Umständen auf die Nerven gehen, ohne dass jeder Einzelne genug Raum und Zeit für sich hat, dass wir als Singles oder Alleinstehende  isoliert sind und uns menschliche Nähe fehlt, wir also vereinsamen, dass die Kultur darnieder liegt, Ideen brachliegen, nein, all das genügt noch nicht…  

Zu allem Überdruss geschieht nun möglicherweise Folgendes: unter den Menschen, die wir kennen, kommt es zu einer Aufspaltung in verschiedene „Religionsgemeinschaften“, jeder hangelt sich so in seinem Teilwissen durch, hat von woanders seine Quellen, bezieht sich aufgrund seiner ganz persönlichen Lebenssituation auf das Eine oder das Andere und reagiert ebenso persönlich, also mit verschiedenen Schwerpunkten, wird beispielsweise zum Impfbefürworter oder zum Impfgegner, deutet um oder verzweifelt, beginnt, die Freiheit des Andern zu beargwöhnen und zu beneiden, denunziert ihn gar, hängt sich an Verschwörungstheorien, was auch immer - und all das nur, weil einem jeden die ganz persönliche Welt und die ganze Welt drumherum durcheinander gewirbelt worden ist, und sie oder er sich neu orientieren, besinnen, ordnen muss oder Wege finden muss, um mit eben der Unordnung (oder der neuen Ordnung?) zu leben, was vielleicht auch gehen kann...

Diese Ausgrenzung und Abgrenzung im ganz persönlichen Bereich, nur weil jemand eine andere Meinung entwickelt hat oder auch nur den Ansatz dazu, belastet uns und unsere Beziehungen und Freundschaften, die wir gerade jetzt so dringend wie nie benötigen. Wir stellen uns in irgendwelche unterschiedlichen Ecken, kritisieren und zersetzen uns. Aber war jemals jemand genau meiner Meinung? Noch nie war das der Fall. Denn das ginge auch gar nicht, der andere Mensch war niemals ich…

Hinzu kommen subtile Beschneidungsmechanismen bisheriger Selbstverständlichkeiten, die WIR BEI UNS SELBER vornehmen, wohlgemerkt nicht die Regierung, sondern wir, z.B. die Beschneidung der künstlerischen Freiheit. Und hier spreche ich in eigener Sache. Dass das eine oder das andere gesellschaftliche oder emotional aufgeladene Thema in einen künstlerischen Ausdruck mit einfließt, muss sein, ist unumgänglich. Schon immer haben Künstler sich den brennenden und den aktuellen Themen gewidmet. Doch nun kommt es u.U. zu folgender Reaktion: eine künstlerische Aussage wird in den Zusammenhang einer angebrachten oder unangebrachten Meinung bzw. ihrer Äußerung gebracht, und damit wörtlich genommen, nach eigenem Gutdünken interpretiert und aufgrund eben dieser Interpretation in eine bestimmte politische Ecke gestellt und danach be- und  vor allem verurteilt. Das aber ist unangemessen. In der Interpretation darf ja Vieles möglich sein, nur ist und bleibt es eben Interpretation. Und die ist sehr persönlich und muss nicht der künstlerischen Aussage, der Absicht an sich entsprechen.

Was hier wie so oft fehlt, ist zuerst einmal das fragende Interesse, das Auf-Sich-Wirken-Lassen, das Betrachten und das Stehenlassen. Zuerst muss ich versuchen, etwas zu durchdringen, dann werde ich vielleicht auch den möglichen Beweggrund herausfinden. Und ich darf noch immer nur das nehmen, was ich nehmen möchte. Ich muss mich gar nicht damit beschäftigen, wenn ich es nicht will. Das wiederum ist meine Freiheit. Und mehr muss ich damit auch gar nicht tun.

Manchmal kommt es mir vor, als würden wir, die wir alle mehr oder weniger gereizt und angeknabbert sind und uns in schwierigen Daseinszuständen befinden, uns wie Hyänen aufeinander stürzen, um die eigene Frustration im Sinne von Aggression nach außen los zu werden.

Deshalb plädiere ich dafür, dass wir uns daran erinnern, was wir wirklich benötigen, das wir uns daran erinnern, dass wir im Moment „Verletzte“ sind, also Zuwendung brauchen, und dass wir uns daran erinnern, weshalb wir uns ursprünglich einmal begegnet sind, und dass wir uns auf die Tiefe dieser Begegnung auch jetzt wieder besinnen und uns nicht daran auseinander dividieren, ob wir uns jetzt z.B. impfen lassen oder nicht, welche Vorstellungen und Ängste wir haben und z.B. darüber in Streit geraten, nur weil wir hier unterschiedlich fühlen und denken. Jeder hat schon immer seine ganz eigene Sicht der Wirklichkeit entwickelt, weil es gar nicht anders geht. Noch nie habe ich einen anderen Menschen verändern können. Noch nie habe ich einen anderen Menschen überzeugen können. Wir müssen aufpassen, dass wir uns in unserer nicht einfachen Situation nicht auch noch obendrein gegenseitig zerlegen.

Auch hier gilt das Miteinander, das Verständnis – nicht für die Oberfläche, sondern für das, was darunter liegt, und für die Vielfalt. Und da hat sich auch durch Corona NICHTS geändert. Es gibt wahrhaftig mehr als genug, gegen das es sich zu kämpfen lohnt. Wenn wir jetzt also anfangen, uns selber zu bekämpfen, uns zu misstrauen und all das, dann gibt es irgendwann nicht einmal mehr uns, und dann ist es tatsächlich zum Heulen.

 

 

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