In Schwarz-Weiß hängen all die Jazz-Größen da, blau
angestrahlt in verschiedenen, zierlichen Rahmen. Und Eb Davis steht etwas
verloren im Flur zur Toilette herum, verlangsamt wie all diese Amerikaner mit
musikalischem Hintergrund und blauer Vergangenheit. Du erkennst ihn an seinem breiten
weißen Hut und daran, dass er der einzige Mann ist mit dunkler Hautfarbe. Das Publikum,
das sind wie immer die Betuchten, die mit der Straße so wenig zu tun haben wie der
aufgeklappte Flügel, auf dem eine weiße Frau aus Chicago später spielen wird. Eb
Davis rollt seine Zunge zwischen den Sätzen im Mund umher und versucht ungelenke
Hin und her - Tanzschritte mit seinen dünnen Beinen unter dem darüber gewölbten
Kugelbauch. Er ist ein freundlicher alter Mann, der weiß, dass der Blues immer
von dahingegangener Liebe erzählen muss. Daran ändert sich mit dem Alter rein
gar nichts.
Donnerstag, 14. Oktober 2021
058 Jazzclub Berlin
Donnerstag, 16. September 2021
057 Berlin. Splitter.
Polaroids
Sie betrachtet ihre Polaroids, während sie in dem kleinen Park in Berlin-Wedding im Gras sitzt, diese tatsächlich nicht zu vervielfältigenden Augenblicke, diese ausschließlichen und einzigartigen Abbilder von welchem Leben auch immer.Ich Voyeur,der ich eine heimliche Photographie von ihr mache, nur um mir hinterher eine Geschichte auszudenken...
Ich steige aus und erwarte Altstadt, so heißt zumindest diese Metrostation. Und was finde ich vor? Ein immerhin katzenkopf - gepflastertes Areal, auf dem in historischen Gebäuden die universellen langweiligen Bedürfnisse der Masse untergebracht sind: Dönerläden, Barbershops, Nagelstudios, Gemüsemärkte, ein C&A und Kaufhofgalerien, nicht zu vergessen Handyläden und zu meiner Erweckung das Bäckerei-Café einer Backwarenkette, in dem ich meinen Nachmittagskaffee und einen Allerweltskuchen zu Radiodudeldei mit Gemütlichkeits-Klischee-Aufdrucken an den Wänden zu mir nehmen muss in Ermangelung von etwas Besserem, daneben mindestens eine Pizzeria zur Stillung des allgemeinen Schnell-Ess-Bedürfnisses. Aber dann hat es doch noch einen Lichtblick: die Volkshochschule, was für ein winziger Versuch...Ich verabscheue diese Art von Kultur, ich verabscheue diese durch solche Meilen hindurch Flanierenden mit ihren dick geschminkten Gesichtern, ihren glänzenden langen gefährlichen Fingernägeln, ihren weißen Marken-Sportschuhen und ihren an den Knien und sonstwo aufgerissenen Jeanshosen, immerhin sinds nur manchmal Jogginghosen, ihren Shisha-Düften und ihrer scheinbar ständigen Verbindung zum Rest der Welt über Kopfhörer und Sprechanlagen. Ich verabscheue sie. Ich bin rassistisch. Denn sie tun mir weh, ohne dass sie es wollen, sie tun mir weh wegen der Selbstverständlichkeit, mit der sie neben mir her hausen und mit der sie ihre Dummheit mit sich herumtragen, ohne sich dabei ihrer schämen zu können, da ihnen das Bewusstsein dafür fehlt. Es ist sogar das Gegenteil:aufgrund ihrer Mehrheit glauben die Dummen in völligem Selbstbewusstsein, nun das Maß der Dinge geworden zu sein. Manchmal vermute ich, dass es tatsächlich so ist. Und all dem kann ich nur noch das sofortige Ausspeien meiner soeben zu mir genommenen Nahrung etwas entgegen setzen.
Und in Ermangelung von Teichen
Und in Ermangelung von Teichen
fehlt es hier an echten Libellen.
So muss die Gegend mit Basteleien auskommen,
gefertigt aus Draht, Stoff und Gaze.
Da ist jemand, der muss Wasser
in eine Wüste aus Stein, Beton
und immerhin Himmel tragen,
der muss einen Aufschrei in die Verstummung pflanzen,
in die Wortlosigkeit, in das Schweigen das Wort,
und das Bild hängen in die Leere einer Mauer.
Da ist immer wieder jemand,
der nicht anders kann
als eine kleine Welt nach der andern zu retten
indirekt,
auch wenn er sich dabei strafbar macht,
da er die Regeln der Ödnis missachtet.
Sonntag, 13. Juni 2021
056 Die erfundenen Zimmer (Lutz Brien / Paul Blau / Alexander M. Neumann)
Vor Kurzem hat eine wunderbare Zusammenarbeit dreier Autoren aus dem Brot und Kunst-Verlag stattgefunden, aus der die folgende Collage, (zu Anfang inspiriert von den "Erzählungen der Zimmer"), entstanden ist. Nun wählen wir als Veröffentlichungsform zunächst einmal unsere jeweiligen Blogs. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass das Werk auch in zukünftigen Lesungen zu hören sein wird...
DAS VERTRAUTE ZIMMER
von
LUTZ BRIEN
I
Eben kam ich ins Zimmer. Alles war noch wie vorher, der Tisch, der Stuhl, das schmale Bett… ich drehte die Heizung hoch, mich fror. Auf dem Tisch lag ein Kuvert, darin - ich suchte nach dem Wort - eine Aufforderung, mich einem kleinen Haufen Narren anzuschließen, die auf den Weltuntergang warteten. Traurige Narren! Heute war mir nicht danach, mich mit dem Ende abzufinden. Ich blickte in den Spiegel, der neben der Tür an der Wand hing. War das ich? Da grinste jemand ganz unverschämt. Schien eine gute Nachricht bekommen zu haben. Die Heizung gluckerte. An einem solchen Tag, da andere von Untergang träumen, träume ich von Erdbeeren und Pfirsichen. Da ist noch Leben, auch in solch einem kargen, zweckmäßigen Zimmer. Ich werfe mich aufs Bett und versinke in der Betrachtung der Zimmerdecke, von Stuck und Spinnweben.
II
Hört mich jemand? Eben war mir so, als klopfte jemand an die Tür. Doch es war wohl nur der Wind. Ich will wieder schreiben. Der Wasserhahn tropft. Ich lege einen Schwamm darunter, dann höre ich nichts. Dabei wäre mir Lärm jetzt lieber. Etwas, um meine Gedanken zu übertönen. Die sind zu einsam. Wenn doch jemand käme. Allein, ich, das Zimmer, keine Flucht, nirgends. Ich stürze ans Fenster, doch ich sehe nur den unbelebten Hinterhof, graue und grüne Mülltonnen, ein kaputtes Fahrrad. Keine Rettung. Gibt es hier irgendetwas, womit ich mich ablenken könnte? Es ist so karg hier. In meiner Jacke? Eine Tüte Bonbons. Wenigstens das, etwas Süße an einem bitteren Tag.
III
Verzeih mir, ich sprach von meinem Zimmer, dabei ist es so wenig mein Zimmer wie das der vielen anderen, die schon darin wohnten… die ich nicht kenne, so wenig, wie ich dich kenne, auch wenn du mir vertraut bist. Das Zimmer ist mir vertrauter, als du es bist, da der Stuhl, der Tisch, doch keines dieser Dinge riecht wie du… ich weiß nicht, wie lange ich noch hier sein werde, bis eben die Arbeit getan ist…
DAS UNSICHTBARE ZIMMER
von
PAUL BLAU
I
Mein Zimmer ist unsichtbar und nicht zu orten. Nur wenn ich meinen Kopf öffne, und die Vögel, die Flirrevögel, ihr Nest darin bauen, dann ist es zum Greifen nah und immer und nie von dieser Welt.
Die Schachtel, in der ich meine Jahre aufbewahre, lasse ich draußen auf dem Flur zurück. Ich betrete den Raum ohne Alter, zeitlos, ich schulde der Zeit nicht eine Sekunde meines Daseins, denn ich betrete dieses Zimmer als ein anderer, den es vor mir niemals gab.
II
Es gibt das alles, tausend Zimmer in schmucken Städten, in Bahnhofsnähe, in heruntergekommenen Vierteln, wo nur die Krähen zu Hause sind, in Palästen, die von Königen bewohnt werden, vom Rascheln der Kleider und von hingetupften Worten, die klingen wie der Geschmack von Vanille, die klingen wie Perlen. Es gibt das alles, auch die Hütten im Dunkel davor, wo die Bediensteten hausen in ihren abgetragenen Kleidern vor ihren Töpfen mit geschmorten Innereien, die sie aus dem Abfall gezogen haben. Es gibt das alles. Ich kann es mir aussuchen. Ich kann hüpfen und fliegen und tanzen, je nachdem, wie mir ist. Ich kann leiden und hungern. Ich kann alles. Ich habe ein Blatt Papier in der Hand. Wie mächtig ich doch bin in dem Wort, das mir entschlüpft, das aus mir herausbricht, herausspricht, ob ich will oder nicht. Manchmal entkommt es, obwohl ich es doch zurück behalten wollte. Seis drum. Morgen wird das Wort wieder neu geboren. Wie jeden Tag. Zum Glück sind die Wände weiß. Und der Bleistift ist spitz genug, um mich an einer verschwiegenen Stelle, die du nur zufällig entdeckst, in Erinnerung zu rufen.
III
Ich schließe die Tür. Ich gebe mir einen neuen Namen. Ich spiele mit dem Unbekannten Versteck. Ich spiele mit dem Neubeginn. Ich schließe die Tür für heute. Ich räume mich hinaus. Ich hauche in den Spiegel, um mein Gesicht unkenntlich zu machen. Hinter mir liegt nur das, was ich war. Vor mir liegt die Reise, die morgen beginnt.
Ich brauche keine Zimmernummer. Ich brauche keine Gebrauchsanweisung. Ich brauche noch nicht einmal einen Straßennamen. Hier, wo ich schreibe, wirst du gegenwärtig und wahr. Hier auf diesem Blatt Papier jenseits der Sperrstunde, wo die Zeitrechnung aufhört.
DAS VERWANDLUNGSZIMMER
von
ALEXANDER M. NEUMANN
I
Dein Slip liegt noch auf dem Boden, wie Haut, die niemandem gehört. Bist du zu hastig aufgebrochen? Oder wolltest du nur etwas von dir zurücklassen? Auch das Kopfkissen trägt noch deinen Duft. Ich atme diese süßen Erinnerungen, ein letztes Mal, dann vergesse ich deinen Namen - das ist Teil des Spiels.
Mein Blick fällt aus dem Fenster, fällt auf die Straße, dort tanzen Regentropfen traurig-schön. Plötzlich bin ich der Fremde in diesem Zimmer, in dem so viele vor mir fremd geworden sind. Ich bin der Fremde in diesem Leben, vergesse sogar meinen eigenen Namen.
II
Manchen Zimmern merkt man es an, eine heimliche Art der Einsamkeit, sie lauert in einer Ecke, aber du kannst sie nicht orten. Andere Zimmer sind von etwas Erhellendem und Glückseligem erfüllt, wie nach einer zärtlichen Liebesnacht. Sie spielen ihr eigenes Spiel. Du schlüpfst in sie hinein, wirst jemand anderes, wirst eine neue Möglichkeit. Und wer bleibt zurück, wenn das Spiel endet?
III
Die leeren Weingläser auf dem Tisch, das zerwühlte Bett - wie flüchtig all das wirkt. Wie flüchtig ein Leben sein kann. Dann aber gibt es Menschen, die haben mehr als ein Leben gelebt, haben stets den Sprung gewagt, von einem Leben ins nächste.
Ich selbst stehe nun auf einer Schwelle. Dieses Zimmer ist mein Übergang. Das alte Leben ist geatmet. Wenn ich gehe, die Tür hinter mir zuschlage und aufbreche, raus in den reinigenden Regen, dann wartet ein neues Leben auf mich, ein neuer Name, ein neues Spiel.